„Wo sind deine Hausaufgaben, Lars?“, fragte die Lehrerin mit einem strengen Blick, als sie die Hausaufgabenkontrolle durchführte und auf seinem Papier nichts vorfand. „Nicht da, wie Sie sehen.“, antwortete er direkt. „So geht es nicht mehr weiter. Das ist nun schon das vierte Mal diese Woche, dass du mir nichts vorzeigen konntest. Du bleibst heute eine Stunde länger hier und gehst zum Nachsitzen, außerdem werde ich deine Eltern kontaktieren. Ich hoffe, das wird dir eine Lehre sein!“, erklärte Frau Specht verärgert und notierte sich etwas in ihrem kleinen Notizbuch. „Aber heute Nachmittag wollte ich doch…“, begann Lars, doch wurde sofort wieder von seiner Mathelehrerin unterbrochen: „Nichts aber! Heute in der siebten Sunde in Raum 256.“
Am Nachmittag machte sich Lars, der Schüler des „Sonnenlicht Gymnasium“, also auf den Weg zum Nacharbeiten. Der Raum war im anderen Gebäude, in welchem er noch nie zuvor war, da dort die älteren Schüler unterrichtet wurden. Um in dieses zu gelangen, musste man einmal komplett um den Neubau, wo er Unterricht hatte, herumgehen, was einige Minuten in Anspruch nahm. Als er den Asphaltweg entlang schlenderte, fiel ihm das erste Mal ein kleiner, verwucherter, mit Hecken umzäunter und mit Unkraut versehener Garten auf, in dem gerade der Hausmeister handwerkelte. „Hallo!“, rief er und kratzte sich mit seinen Händen, an denen er Handschuhe trug, am Kopf. „Hallo, was genau tun sie da?“, fragte Lars neugierig. „Ich muss den Schulgarten ausmessen, er wird nämlich bald abgerissen, damit der Parkplatz erweitert werden kann und dazu brauchen sie die genauen Maße.“, erzählte Herr Schmidt. „Ich wusste gar nicht, dass wir einen Schulgarten haben, wird er seit längerem nicht mehr genutzt?“, fragte Lars verwundert. „Genau, irgendwann gab es einfach keine Freiwilligen mehr, die sich um den einst wunderschönen Ort hier kümmern wollten, sodass er nun zugewachsen und ungepflegt erscheint. Weißt du, damals gab es hier Erdbeer-, Tomaten- und Salatpflanzen, tolle Blumen und viele Kinder, die hier gern Zeit verbracht haben. Aber mit der Zeit hat sich hier einiges verändert und nun müssen wir uns bald verabschieden…“, berichtete der Hausmeister, der offenbar gerne von alten Zeiten erzählt. Gerade wollte Lars antworten, da rief ihn eine bekannte Stimme. Er blickte um sich herum, bis er seine Lehrerin, Frau Specht, wütend auf ihn zukommen sah. „Hallo, Frau Specht… Was für ein Zufall aber auch.“, stotterte er ängstlich. „Du solltest schon vor zehn Minuten bei der Nacharbeit sein! Was soll ich mit dir eigentlich noch machen…?“, sagte die etwas gereizte Lehrerin. Lars überlegte, was er darauf antworten konnte und stand bloß da, doch Frau Specht meldete sich erneut zu Wort: „Worauf wartest du? Das ein Taxi kommt und dich herfährt? Na los, komm.“, zischte die Lehrerin und die beiden gingen gemeinsam in das Gebäude, in dem ihm das Nachsitzen erwartete. Dort musste er kurz darauf die fehlenden Hausaufgaben erarbeiten, was ihm leichter fiel, als erwartet. Nach der Stunde ging Lars noch einmal zum Schulgarten, doch der Hausmeister war schon fort, sodass auch er sich auf den Weg nach Hause begab. Seine Eltern waren noch nicht zuhause, worüber sich der 13- jährige etwas freute, denn somit musste er noch nicht mit ihnen über die fehlenden Hausaufgaben reden und hatte ein wenig Zeit für sich. Er dachte noch lange über den Schulgarten nach.
Er fand es nicht fair, da er ja, auch wenn ihn niemand kannte, zur Schule gehörte. „Und wie viel größer wollen sie den Parkplatz bitte noch machen?“, dachte sich Lars immer wieder.
Als er am Abend müde im Bett lag, beschloss er, sich für den Schulgarten einzusetzen und dafür zu kämpfen, dass er bestehen bleibt. Die Erzählungen von Herrn Schmidt haben sich so verlockend angehört…
In der Pause, am nächsten Tag, ging Lars zum Büro des Schuldirektors. Er war nämlich fest davon entschlossen, da Herr Müller nun mal das Sagen hier an der Schule hatte, der Einzige war, der die Zerstörung des Gartens verhindern konnte. Er klopfte mutig an die Tür, mit einem Ziel, das er klar verfolgen wollte. „Guten Tag, Herr Müller.“, sagte er, als er den Arbeitsraum des Direktoren betrat. „Hallo. Hilf mir auf die Sprünge, wie war dein Name noch gleich?“, begrüßte auch er ihn. „Ich heiße Lars. Lars Fischer.“, erklärte er. „Entschuldige Lars, mit rund 900 Schülern ist es nicht das Einfachste, sich alle Namen zu merken. So, was kann ich denn für dich tun?“, sagte Herr Müller. „Ich bin gestern mit dem Hausmeister ins Gespräch über unseren Schulgarten gekommen. Ich sehe einfach nicht ein, dass er abgerissen wird und wollte fragen, ob es noch eine Möglichkeit gäbe, ihn zu retten. Ist es, weil es keine Freiwilligen Schüler gibt, die sich darum kümmern oder was ist der Grund?“, erklärte Lars. „Lars, wir haben es bereits entschieden und daran ist auch nichts mehr zu rütteln. Alles ist bezahlt und geplant.“ „Aber gibt es denn keinen Weg…“, sagte Lars, doch Herr Müller unterbrach ihn: „Wir haben es beschlossen und ich möchte nun ehrlichgesagt nicht mehr diskutieren. Ich respektiere und verstehe dich, aber wir würden uns nur im Kreis drehen und außerdem habe ich so schon genug zu tun, also wenn du mich nun entschuldigen würdest.“, sagte er und deutete auf die Tür. „Na schön, aber wenn Sie mich verstehen würden, dann würden Sie unseren Schulgarten nicht zu einem Parkplatz machen. Auf Wiedersehen.“, meinte Lars und verschwand aus dem Büro, und zwar mit einem schlechten Gefühl. Doch ihm wurde schnell klar, dass er diese große Aufgabe nicht alleine bewältigen könnte. Er brauchte Unterstützung, so viel, wie es geht.
Die nächsten Tage machte er also Mitschüler aus verschiedensten Jahrgangsstufen darauf aufmerksam, darunter einige, die im zur Hilfe kommen wollten. Eines Nachmittags hielten sie also ein Treffen ab. Es handelte sich hierbei um rund 25 Leute, was in Lars‘ Augen wirklich viel schien. Sie planten eine Protestaktion um den Schulgarten vor der Zerstörung zu bewahren. Ihr Plan war es, während des Unterrichts mit Plakaten durch die gesamte Schule zu ziehen. Den Schulgarten bewachten zusätzlich einige Schüler um zu zeigen, dass sie ihn beschützen wollen, sodass niemand an ihn rankam, um ihn zu zerstören. „Gemeinsam, werden wir es schaffen!“, sagte Lars fest entschlossen als Abschluss des Treffens.
Am nächsten Morgen, noch bevor der Unterricht begann, trafen sich alle. Viele von ihnen hatten große, bunte Plakate dabei, die sie mit viel Mühe gestaltet hatten. Um 8:00 Uhr, pünktlich zum Klingeln, begann ihr Protestmarsch. Durch die Flure, an allen Klassenräumen vorbei, gingen sie und riefen dabei: „Rettet den Schulgarten!“ Viele Schüler schauten sie schief an oder lachten sie aus, doch das machte ihnen nichts. Auch der Schulleiter wurde schnell auf die Truppe aufmerksam und versuchte eine Fortsetzung zu verhindern: „Geht sofort in eure Klassenräume! Ihr stört hiermit den Unterricht der anderen.“, schrie er, um gegen den Lärm anzukommen, doch sie ignorierten es und wurden, statt aufzuhören, noch lauter. Der Direktor drohte ihnen mit Bestrafungen und ermahnte sie, sodass viele Kinder der Gruppe Angst bekamen und die Demonstration verließen. Bald waren sie nur noch zu dritt, so sahen sie keinen Sinn mehr darin, weiterzumachen und wollten wieder gehen. „Nicht so schnell!“, sagte Herr Müller, „Glaubt ihr wirklich, ihr kommt einfach so damit davon? Lars, ich habe dir ausdrücklich gesagt, dass es ein feststehender Beschluss ist, warum akzeptierst du das nicht einfach? Ab in mein Büro mit euch.“ Die drei verbleibenden folgten dem Schulleiter beschämt. „Lasst mich raten, wessen Idee das Ganze war? Lars‘ vielleicht?“ Er nickte und sagte muterfüllt: „Und wissen Sie was, Herr Müller? Ich würde es wieder tun.“ „So so… In welche Klasse gehst du?“, fragte der Direktor. „7e.“, antwortete er knapp und etwas beleidigt. „Frau Specht bitte augenblicklich zum Direktorat. Frau Specht!“, sagte er durch das Mikrophon, welches für Durchsagen zur Verfügung stand. Kurze Zeit später war Lars‘ Klassenlehrerin schon da. „Guten Tag, Herr Müller. Ah, ich sehe schon. Lars mal wieder… Das kann ja nur Ärger bedeuten.“, sagte Frau Specht und nahm neben dem Schulleiter Platz. „Wie sie sicherlich mitbekommen haben, ist heute eine große Gruppe von Schülern umhergezogen, um den Schulgarten zu retten. Lars, ihr Schüler, war der Anführer.“, berichtete der Direktor etwas wütend, wie man ihn sonst nicht kannte. „Lars, stimmt das?“, fragte sie und schaute ihm ernst in die Augen, worauf er nur verlegen nickte. „Ich hatte ihm jedoch schon einige Tage zuvor gesagt, dass mein Entschluss feststeht.“, ergriff Herr Müller erneut das Wort. „Ich glaube es nicht.“, sagte Frau Specht kopfschüttelnd. „Und ich habe die Befürchtung, wir müssen Lars nun von der Schule verweisen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, solch einen Unruhestifter zu bestrafen.“, sagte der Direktor. „Da muss ich Ihnen leider zustimmen.“, sagte auch Lars‘ Klassenlehrerin. „Aber das können Sie doch nicht tun!“, sagte Lars und sprang erschrocken vom Stuhl auf. „Und ob wir das können.“, sagte Herr Müller. „Ich werde jetzt erstmal deine Eltern anrufen.“, beschloss Frau Specht und griff direkt zu ihrem Telefon. Lars ließ sich frustriert wieder auf den Stuhl fallen. „Und ihr beiden könnt vorerst gehen. Ich habe mir eure Namen notiert.“, sagte der Schulleiter zu den anderen, die an Lars‘ Seite waren und standen erleichtert auf.
„Deine Mutter wird bald hier sein.“, sagte Frau Specht und packte ihr Handy wieder zurück in ihre braune Handtasche, die sie um ihre Schulter trug. Ihre Aussage wurde bald Realität und Lars‘ Mutter stand im Raum. Er war sich sicher, dass sie wütend war, konnte sich jedoch trotzdem vorstellen, dass sie hinter ihm stehen würde. „Guten Tag, ich bin Frau Fischer, die Mama von Lars.“, sagte sie und schüttelte den beiden Lehrern die Hände. Sie nahm ebenfalls Platz und ihr wurde die Situation geschildert. „Okay, so wie ich es verstehe, hat mein Sohn versucht, dass der Schulgarten weiterhin existent bleibt und nicht zu einem Parkplatz umgebaut wird. Sie, Herr Müller, haben darauf gesagt, es wäre nicht möglich und dann hat er mit anderen Schülern, die das Problem ebenfalls erkannt haben, protestiert? Ich verstehe, und wieso genau bekommt er jetzt Ärger und einen Schulverweis?“ „Ähm… tja… Er hat die Regeln nicht befolgt.“, sagte Frau Specht unsicher. „Welche genau?“, fragte Lars‘ Mutter selbstsicher. „Na ja, ich habe ihm deutlich gesagt, dass es nicht im Rahmen des Möglichen liegt.“, erwiderte der Schuldirektor. „Verstehe, und aus welchem Grund nicht?“, fragte Mama. „Wir haben alles schon geplant und bezahlt.“, erklärte Frau Specht. „Sind Sie sicher, dass es nicht mehr stornierbar ist?“, fragte Mama hartnäckig. „Eigentlich schon, aber wenn es Sie so brennend interessiert, könnte ich auch gerne nochmal anrufen.“, sagte der Direktor und griff nach dem Hörer des Telefons. „Na gut, ich gehe dann einen Moment lang mit meinem Sohn vor die Türe.“, meinte Lars‘ Mutter und tat dies. „Mama, bist du etwa nicht sauer?“, sagte Lars begeistert, nachdem er die Tür leise geschlossen hatte. „Nein, nicht wegen dem Protest selbst, sondern, weil du nicht mit mir darüber gesprochen hast.“ „Ich dachte nur, du würdest sauer werden.“, erklärte der Sohn. „Nein, das ist doch eine tolle Aktion. Und außerdem zeigt es, wie hartnäckig und ehrgeizig du bist.“, lächelte Mama. „So wie du.“, sagte Lars. „Na komm, wir gehen wieder rein und kämpfen für den Schulgarten. Weißt du, ich war dort, als ich hier noch zur Schule ging, auch oft.“, berichtete Mama und sie betraten den Raum. „Und?“, fragte Frau Fischer den Direktoren, der gerade aufgelegt hatte, knapp. „Es ist noch stornierbar. Aber! Ich werde es nur absagen, wenn du versprichst, dass du dich mit deiner Protest-Truppe um den Garten kümmern wirst.“, erklärte der Direktor. „Nichts lieber als das!“, sagte er erfreut und lächelte seine Mama an. „Ich muss sagen, ich finde deinen Ehrgeiz toll. Du hast dir etwas in den Kopf gesetzt und es umgesetzt.“, lobte der Direktor. „Na wenn das bei deinen Hausaufgaben auch so wäre…“, lachte Frau Specht.
Und schon ein paar Wochen später strahlte der Schulgarten in einem neuen Glanz und viele Kinder konnten sich dort wieder vergnügen, weil Lars sein Ziel voll Ehrgeiz und Hartnäckigkeit verfolgt hat.