Nicht nur Deutschland, auch Länder wie Frankreich, Estland oder Lettland sind vom Ärztemangel betroffen. Die Krankenhäuser werden immer voller und es scheint als würde die Anzahl der Ärzte sinken. Dabei scheint der Beruf für viele der Traumjob schlecht hin zu sein. Woran liegt das Problem also?
Sobald Frau L. das Solinger Krankenhaus betritt, in welchem sie als Assistenzärztin angestellt ist, weiß sie, dass der Arbeitstag lang wird. Während sie durch die lauten Flure hastet, um sich für die morgendliche Visite vorzubereiten, fällt ihr ein, dass die Bürokratie für ihre entlassenen Patienten noch erledigt werden muss. Eigentlich liebt sie ihren Job, es war immer ihr großer Traum anderen Menschen zu helfen, jedoch wünscht sie sich an Tagen wie diesen, die Anzahl der Ärzte auf ihrer Station wäre höher. Seit immer mehr von ihnen kündigen, müssen sie und ihre Kollegen oft die Arbeit für zwei erledigen. Dabei darf die Qualität ihrer Arbeit nicht leiden. Die Gesundheit ihrer Patienten muss immer an erster Stelle stehen.
Ärztemangel – der Begriff klingt für die meisten im ersten Moment komisch. Schließlich ist der Beruf doch bei vielen Abiturienten so beliebt. Dabei fehlen Deutschland, laut einer Studie der IAB, mehr als 15.000 Ärzte. Dieser Mangel wird in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen. Eine Prognose geht sogar davon aus, dass bis 2030 jedes fünfte bis sechste Krankenhausbett in Deutschland unbesetzt sein wird.
Ein großes Problem stellen erstmal die Anforderungen für ein Medizinstudium dar. Deutsche Universitäten erwarten einen 1,0 Schnitt und selbst dann sind die Wartelisten noch lang. Oft reicht ein guter Schulabschluss allein nicht mehr für einen Platz. Daher entscheiden sich viele junge Leute für ein Studium im Ausland und bleiben anschließend dort. Nach dem Medizinstudium ist der Wunsch auszuwandern am größten. Der Arbeitsalltag im Krankenhaus stellt sich als stressig heraus, oft bleibt nicht genug Zeit sich ausgiebig mit einzelnen Patienten zu beschäftigen. Überstunden gehören zur Normalität. Die Bürokratie, die viel Detail erfordert, frisst am meisten Zeit. Währenddessen bieten Länder wie die Schweiz, Österreich, Norwegen oder Großbritannien geregeltere Arbeitszeiten, flachere Hierarchien und sogar ein besseres Gehalt. So ist es verständlich, warum sich viele Mediziner dafür entscheiden. Das führt am Ende dazu, dass die Ärzte für 1.000 Einwohner in ganz Europa ungleich verteilt sind.
Ihre Pause verbringt Frau L. am Schreibtisch, die Kaffeetasse in der Hand, ein Computerbildschirm vor ihr und daneben ein gerahmtes Foto ihrer Familie. Ihre Verwandte leben in einem Land des ehemaligen Jugoslawiens, wo sie selbst herkommt. Ihr war schon immer klar, dass sie ihre Tätigkeit als Ärztin nicht in ihrem Heimatland ausführen möchte. Deutschland erscheine ihr als eine bessere Option, erklärt sie.
Mehr als 57.000 Ärzte aus dem Ausland arbeiten derzeit in der Bundesrepublik, so eine Statistik der Bundesärztekammer. Das bedeutet: Mehr als 10% aller berufstätigen Ärzte in Deutschland kommt aus einem anderen Land. 2020 ist die Zahl um 1.057 Personen gestiegen und die Zahl wächst Jahr um Jahr stetig. Somit dämpft die Zuwanderung den Ärztemangel ein wenig und hilft die ärztliche Versorgung in Krankenhäusern aufrecht zu erhalten. Allerdings verliert Deutschland auf lange Sicht mehr Ärzte ans Ausland, als es durch Zuwanderung gewinnt, so das Ärzteblatt.
Frau L. sagt außerdem, der Weg für Ärzte aus dem Ausland sei nicht einfach auch wenn Deutschland auf sie angewiesen sei. Bis man wieder als Arzt arbeiten dürfe, müsse man mehrere Hürden bewältigen, die einem in den Weg gelegt werden würden. Sie wünscht sich, dieser Weg verlaufe einfacher und denkt, dass man so das Problem des Ärztemangels schneller lösen könne, anstatt diese wertvolle Zeit zu verschwenden.
Laut Frau L., hätte sich die Situation durch die Covid-19 Pandemie noch weiter verschlechtert. Sie berichtet, dass die Stationen seitdem immer überlastet seien. So würden jetzt maximal 40 Patienten auf einer Station aufgenommen werden, während das Limit vor der Pandemie noch bei maximal 15 Personen läge. Viele ihrer ehemaligen Kollegen hätten nicht gekonnt den Druck, der dabei entstand, auszuhalten. Ob auswandern oder das Niederlassen in einer Praxis – beides schien für diese ein besserer Ausweg.
Doch auch Praxen spüren die Auswirkungen des Ärztemangels deutlich. Der Gesundheitsreport der MLP berichtet, dass 22% aller Arztpraxen unterbesetzt sind und hinzukommt, dass 73% Probleme haben offene Stellen zu besetzen.
Am meisten Angst hat Frau L. vor der Lage der Patienten, deren Zufriedenheit in den letzten Jahren ebenfalls immer weiter sinkt. 65% beklagen sich, laut dem Gesundheitsreport der MLP, über lange Wartezeiten. Sie möchte niemandem eine gute Behandlung aufgrund von Zeit- oder Kostengründen ausschlagen.
Zusammenfassend wünscht sich nicht nur Frau L., sondern Ärzte deutschlandweit eine Veränderung im Gesundheitssystem. Eine große Reform wäre nötig, um all die Probleme zu beheben, die dazu führen, dass Ärzte sich gegen die Arbeit in der Bundesrepublik entscheiden. Doch auch kleine Schritte würden schon helfen, genauso wie ein Engagement seitens der Politik zum Thema. Bis dahin lässt es sich abwarten und hoffen, dass die Zukunft tatsächlich besser aussieht, auch wenn sich das für viele bisher utopisch anhört.